Bärentritt by Götschi Silvia

Bärentritt by Götschi Silvia

Autor:Götschi, Silvia
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863589547
Herausgeber: Emons
veröffentlicht: 2016-01-27T16:00:00+00:00


VIERZEHN

Dass ich haarscharf am Tod vorbeigegangen war, wurde mir erst jetzt bewusst. Dario hatte ich nicht mehr gesehen. Ich kehrte in Valerios Wohnung zurück. Nachdem ich mich geduscht und umgezogen hatte, fuhr ich nach Klosters.

Vielerorts war man jetzt mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Obwohl Sonntag war, wurden Balustraden abgebrochen, Zäune aufgerollt, Zelte abtransportiert. Die Putzmaschinen waren unterwegs und sammelten den zurückgelassenen Dreck auf. Der Verkehr hatte sich unwesentlich reduziert.

Klosters lag verschlafen da. Die Häuser waren mehrheitlich im Chaletstil erbaut, was dem Dorfbild eine heimelige Note verlieh. Über den Giebeln der Schrägdächer glitzerte der Schnee wie eine Handvoll hingeworfener Diamanten.

Ich umfuhr den Wolfgangtunnel und zweigte auf der Höhe Selfranga nach Klosters Dorf ab. Die Doggilochstrasse erstreckte sich über eineinhalb Kilometer von den Brüggen bis zur Aeuja-Post. Maruggs wohnten in einem Zweifamilienhaus fast am östlichen Ende der Strasse.

«Jakob und Claudia Marugg» stand auf dem Türschild. Ich drückte die Klingel.

Unter dem Türrahmen erschien eine hochschwangere Frau. Ein etwa zweijähriges Mädchen hing ihr buchstäblich am Rockzipfel. Mit dem Schnuller im Mund sah es müde aus. Die Mutter dagegen übte einen gewieften Eindruck auf mich aus. Trotz ihres runden Leibs kam sie mir fit vor. Auf ihren vollen Wangen lag ein roter Schimmer, der sich am Hals fortsetzte. Ihre kurzen Haare standen ungekämmt von ihrem runden Kopf ab. Alles in allem ein erfreulicher Anblick.

Ich entschuldigte mich für die Störung und fragte nach der Anwesenheit ihres Mannes.

«Der schläft», sagte Claudia Marugg und hob ihre Tochter hoch. Das Mädchen drückte sein Näschen an die Wange der Frau und sabberte sie mit Speichel voll. Claudia Marugg schien es nichts auszumachen.

«Wann steht er denn auf?»

«In der Regel schläft er bis um vier. Danach muss er zum Dienst. Was wollen Sie denn von Köbi?»

«Eine Auskunft», wich ich aus. «Über seine Arbeit.» Mir kamen plötzlich Zweifel, und sie warfen mich auf die grundlegendsten Fragen zurück, ob ich hier einfach hereinplatzen durfte, zumal ich eine Aufgabe übernahm, die der Polizei vorbehalten war.

Es ging allein um meine Rehabilitation.

«An einem Sonntag?», fragte Claudia und schien etwas irritiert.

«Ja, tut mir leid.» Mir war bewusst, dass ich gegen das Elementarste gewisser Anstandsregeln verstiess.

Doch Claudia Marugg zeigte sich von ihrer netten Seite. «Vielleicht kann ich die Ihnen geben. Als ich ledig war, arbeitete ich auch bei den Rhätischen Bahnen.» Ihr Gesicht erhellte sich noch mehr. «Ich war eine der wenigen Lokführerinnen im Kanton Graubünden. Bitte, kommen Sie rein.»

Ich klopfte meine Schuhe auf dem Türvorleger ab.

«Wir können in die Küche gehen.» Claudia Marugg ging voraus in eine hübsch eingerichtete Wohnküche. Sie wirkte wie ein Puppenhaus auf mich. Am Fenster hingen Rüschenvorhänge, den runden Tisch bedeckte ein Tuch mit Blumenmuster. Auf dem hellen Parkett lag Spielzeug, ein angeknabbertes Stück Zwieback, ein Gazetuch. «Übrigens, das ist Carina.» Sie setzte ihre Tochter auf einen Hochstuhl. «Möchten Sie Kaffee? Oder Tee? Ich habe auch Ovomaltine.»

Ich lehnte dankend ab.

«Am letzten Mittwochmorgen hatte Ihr Mann Dienst», begann ich. «Er fuhr die Strecke Davos–Filisur. Hat er Ihnen erzählt, dass er auf der Höhe des Bärentritts den Zug anhalten musste?»

Claudia wandte sich von mir ab. Sie hantierte mit einer Babyflasche, in die sie unverhältnismässig langsam Tee füllte.



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